Ein Bericht von Schülerinnen und Schülern der Staatlichen Berufsschule im BBW Südhessen in Karben
Am 30. August 2018 haben ca. 180 Schüler/innen der Staatlichen Berufsschule im BBW Südhessen das Kloster in Ilbenstadt besucht, um an einem vom Bistum Mainz organisierten Treffen mit polnischen Zeitzeugen der deutschen Gewaltherrschaft in Polen zurzeit des 2. Weltkriegs teilzunehmen. Die Anreise der Berufsschüler/innen erfolgte mit vom Veranstalter (kostenfrei) bereit gestellten Bussen und für einen kleineren Teil der Schülerinnen und Schüler mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Gegen 9:15 Uhr wurden wir Schüler/innen von Mitarbeitern des Veranstalters begrüßt und mit den Klassenlehrer/inne/n in 5 Gruppen geteilt. Jede dieser Gruppen wurde einem der angereisten polnischen Zeitzeugen zugeordnet. Unsere Gruppe sollte im Rahmen des Zeitzeugengesprächs Frau Maria Stoinska begegnen. Von dem Aufeinandertreffen mit ihr berichten wir nachfolgend.
Zunächst begeben wir uns in den Raum, der für das Treffen vorgesehen ist. Wir sind gespannt. Manche fühlen sich ein bisschen unsicher. Dann steht Maria plötzlich vor uns. Sie strahlt Lebenserfahrung aus und beginnt sofort sich für uns zu interessieren, indem sie nach unseren Ausbildungsberufen fragt. Dann werden wir über den Verlauf der folgenden zwei Stunden informiert: Maria wird uns ihre bewegende Lebensgeschichte und die ihrer Familie in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Polen bis zu ihrer Befreiung durch die Alliierten erzählen.
Zurzeit des Warschauer Aufstands wurde Maria von deutschen Soldaten aufgegriffen und ins Konzentrationslager Auschwitz/Birkenau deportiert, wo sie als politisch Verfolgte galt. Sie berichtet auf polnisch und für uns wird alles von einer jungen Frau übersetzt. Maria erzählt sachlich und wirkt gefasst, obwohl Ihre Erlebnisse von hoher emotionaler Intensität für sie sein müssen. Sie erzählt von der Trennung von Kindern und Eltern im KZ, vom Tod in den Gaskammern, von der Zufälligkeit des Überlebens und den Lebensbedingungen im Lager … und von Maximilian Kolbe (Namensgeber des Maximilian-Kolbe-Werks), der sein eigenes Leben opferte, damit ein Familienvater überleben konnte. Maria zeigt uns auch Gegenstände (ein Halstuch, das sie getragen hat, Bilder, Broschüren usw.). Dies ist authentisch und trägt dazu bei, dass wir uns länger konzentrieren können.
Schon bald waren die anfänglichen Berührungsängste verflogen. Auf die persönlichen Berichte von Maria reagierten einzelne Schüler/innen sensibel. Manche wühlte es richtig auf, dass Menschen anderen Menschen so schreckliche Dinge antun konnten in den Konzentrationslagern. Die Frage nach dem „Warum“ ist nur eine von vielen Fragen, die uns Schüler/innen bewegten. Maria geht auf unsere Fragen angemessen ein, aber ihr Hauptziel ist es ihre ganze Geschichte zu Ende zu erzählen, von den Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten, von der Hilflosigkeit und Menschenverachtung, die sie erfahren musste und die viele nicht überlebt haben.
Danach hatten wir dann nochmals Zeit Fragen zu stellen. Bei einer Schülerfrage musste Maria länger überlegen, bevor sie sie beantworten konnte. Die Frage führt zu einer wesentlichen Erkenntnis, die Maria aus ihren Lebenserfahrungen ableitet: Alle Menschen hätten positive und negative Seiten. Wichtig sei, dass das Positive in den Mittelpunkt des menschlichen Handelns gestellt werde. Die Achtung vor dem Individuum und die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen sei Grundlage der Menschlichkeit und des Respekts.
Überhaupt finden wir, dass Maria den Menschen und uns (deutschen) Schüler/inne/n trotz der vielen erschütternden Erlebnisse sehr positiv zugewandt ist. Wir freuen uns, dass sie uns in ihrem inzwischen hohen Alter als Zeitzeugin zur Verfügung steht und wir bewundern auch, wie sie das – angesichts ihrer Lebenserfahrungen – macht. Dann erzählte sie uns noch, warum sie mit uns dieses Gespräch führt: Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, dass sich so etwas nicht wiederholen darf und dass die Geschichte nicht vergessen geht, denn schließlich seien viele Menschen unschuldig umgekommen.
Für uns Schüler/innen war das Zeitzeugengespräch ein tiefgehendes bewegendes Erlebnis, das uns Erfahrungen vermittelte, die wir auch anderen wünschen und die unsererseits Verständnis und Betroffenheit erzeugten.
Zum Abschluss machten wir Schüler/innen Fotos mit Maria. Maria erhielt zum Dank eine weiße Rose, die von Schülern des Metallbereichs unserer Schule hergestellt wurde. Die Verabschiedung war sehr herzlich und Maria umarmte jede Schülerin/ jeden Schüler. Wir wünschen ihr, dass sie noch lange als Zeitzeugin zur Verfügung stehen kann und hoffen, dass auch im nächsten Jahr wieder andere Schüler/innen an den Zeitzeugengesprächen des Bistum Mainz teilnehmen können. Darin steckt die Hoffnung, dass die Zeitzeugengespräche unbedingt weitergeführt werden, denn sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur politischen Bildung und Aufklärung.
Wir danken den Lehrerinnen Frau Reuter und Frau Lücken für die schulinterne Vorbereitung und Organisation des Zeitzeugenprojekts sowie Herrn Keck und dem Metallbereich unserer Schule. Ganz besonders danken wir jedoch allen Zeitzeugen für ihr ehrenamtliches Engagement, den Übersetzer/innen und dem Bistum Mainz für die Organisation und Durchführung der Zeitzeugengespräche.
Zum Abschluss möchten wir alle Zeitzeugen noch einmal namentlich benennen, denn so wie Maria´s Erzählungen uns bewegt haben, so haben auch die Berichte der weiteren Zeitzeugen Genowefa Makara, Jozefa Posch-Kotyrba, Jadwiga Teresa Wakulska, und Ignacy Golik den Schüler/inne/n eine eindrückliche und unvergessliche Erfahrung bereitet.
Es bleibt unsererseits bei der Hoffnung, dass wahr ist was Maria zu Beginn des Gespräches kurz erwähnte: „Die Zeiten und auch die Menschen hätten sich inzwischen verändert“.
© Berthold Bronisz / PIXELIO
Vielen Dank für diesen guten Bericht. Und ich freue mich auch zu sehen, dass ihr mein Foto für diesen Bericht ausgewählt habt. Es ist sehr passend zu diesem traurigen Thema. Noch mehr freut es mich aber, auch eine an die dunkle Geschichte Deutschlands interessierten Jugend zu sehen, die diesem Bericht den Tenor gab, dass sich so etwas niemals wiederholen darf.
Beste Grüße
Berthold Bronisz